Anwalt der Stars und Star der Anwälte
Miteinander sprechen, wo Hamburg am schönsten ist: an der Alster. Ein Spaziergang mit Gerhard Strate, einem der bekanntesten Strafverteidiger Hamburgs
von Uwe Bahnsen
WAMS.de 1995 - 2004, 18.1.2004
Die Bandbreite der Klischees, mit denen er in seiner wahrlich erfolgreichen Laufbahn belegt worden ist, reicht von der doppelbödigen Vokabel „Rechthaber“ über das respektheischende „Mann für alle Fälle“ bis zu dem knurrenden Befund „Revisionsterrier“. Doch werden diese Einordnungen sämtlich dem drahtigen Mittfünfziger nicht gerecht, mit dem ich mich an der „Alten Mühle“, einen Steinwurf vom Alsterlauf in Bergstedt, verabredet habe: Gerhard Strate, als Strafverteidiger zu bundesweitem Ruhm gekommen. „Staranwalt“: ein einigermaßen abgenutzter Begriff. Auf ihn trifft er zu. Leider regnet es, und so findet unser Alsterspaziergang in der Gaststube statt.
Da wir uns lange kennen, reden wir erst mal über Politik, denn auch auf diesem Parkett ist er zu Hause. Ich entsinne mich noch an seine Anfänge als Justizdeputierter der GAL in den achtziger Jahren. Damals war er schon längst nicht mehr so rebellisch wie in den Zeiten, als er zeitweise sogar dem KPD-nahen Kommunistischen Studentenverband angehörte. Allerdings trennte man sich dort bald von ihm - wegen „Versöhnlertums“ und „Anarchismus“. Immerhin war das die Phase, in der er gern auf die Straße ging - zum Beispiel bei einer Demonstration gegen Fahrpreiserhöhungen. Als die Polizei einen gehbehinderten Kommilitonen festnahm, empörte ihn dieser Vorgang so, dass es zu Handgreiflichkeiten kam. Er wurde wegen „versuchter Gefangenenbefreiung und Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte“ von einem Amtsrichter zu 1000 Mark Geldstrafe verurteilt, legte dagegen erst Berufung, dann Revision ein. Das Urteil wurde aufgehoben - sein erster Erfolg. Da war er Rechtsreferendar. Die damaligen Erfahrungen waren sicherlich einer der Gründe dafür, dass er sich für den Anwaltsberuf mit dem Schwergewicht Strafverteidigung entschied. Übrigens, so spielt das Leben: Der Sohn des Polizisten, der ihn während der Demonstration gegen die Fahrpreiserhöhungen vorübergehend festgenommen hatte, arbeitet heute als Anwalt in seiner Kanzlei.
Als GAL-Deputierter hat Gerhard Strate den regierenden Sozialdemokraten ebenso eingeheizt wie denjenigen Amtspersonen in der hamburgischen Justiz, die ein nahezu päpstliches Unfehlbarkeitsdogma vor sich hertrugen. Für einen politischen Paukenschlag mit weit reichenden Folgen aber sorgte er im Mai 1993: Als Anwalt des CDU-Rebellen Markus Wegner erstritt er vor dem Hamburgischen Verfassungsgericht die sensationelle Entscheidung über die Wiederholung der Bürgerschaftswahl von 1991 wegen der CDU-internen Demokratiedefizite bei der Aufstellung der Kandidaten. Ich überlege, wie sich sein politischer Standort heute definieren lässt:
„Würden Sie es akzeptieren, wenn ich Sie einen Radikalliberalen nenne?“
„Das trifft, glaube ich, den Kern.“
Mittlerweile gehört Gerhard Strate zum Vorstand der Hanseatischen Rechtsanwaltskammer, war drei Jahre ihr Vizepräsident - da ist man nicht mehr rebellisch, sondern soigniert. Geblieben ist ihm allerdings aus seinen Sturm-und-Drang-Jahren eine tiefe Überzeugung: „Die Justiz als die staatliche Einrichtung zur Rechtsgewährung ist nicht nur auf die in der Verfassung garantierte Unabhängigkeit angewiesen, sondern auch auf die kritische Prüfung und Bewertung ihrer Entscheidungen.“ Das ist eine These, der ich nur zustimmen kann, und auch seiner weiteren Feststellung, dass die richterliche Unabhängigkeit nicht nur eine Sache des einschlägigen Grundgesetz-Artikels, sondern ebenso sehr der inneren Einstellung ist, widerspreche ich nicht. Ich möchte von diesem in der Regel druckreif formulierenden Anwalt wissen, was dazu geführt hat, dass ihm der frühere Radikalismus abhanden gekommen ist:
„Hatten Sie irgendein Schlüsselerlebnis?“
„Überhaupt nicht. Das war eine ganz organische Entwicklung. Ich bin auch nie radikal im militanten Sinne gewesen. Es war aber immer, und bis auf den heutigen Tag, meine Grundüberzeugung, dass man Bürgerrechte mit Nachdruck verteidigen muss.“
Dieser Satz erklärt sein rechtspolitisches Engagement - ganz gleich, ob es um den Datenschutz im Polizeirecht, um den Umgang mit Stasi-Akten oder um die Verteidigerrechte in einem Strafprozess geht, mag er nun spektakulär oder Bestandteil des alltäglichen Justizbetriebs sein.
Wir blicken aus dem Fenster auf das Katzenkopfpflaster vor dem Lokal. Aus den Schauern ist ein handfester Dauerregen geworden, und wir bitten den Kellner noch einmal zu uns. Strate, in Thüringen als Sohn eines Ingenieurs geboren, in Schwarzenbek aufgewachsen, in Geesthacht zur Schule gegangen und in Hamburg zum Juristen ausgebildet, ist passionierter Marathonläufer und begeisterter Bogenschütze - zwei sportliche Disziplinen, die man getrost auf seine anwaltliche Arbeit übertragen kann. Denn ein so ausgebuffter Revisionsspezialist wie er braucht Zähigkeit, um sich durch die in der Regel umfangreichen Akten des jeweiligen Falles zu arbeiten, und er muss dabei stets den Kernpunkt des Problems im Visier haben. Für ihn beginnen die Fälle da, wo sie für die staatliche Strafverfolgung enden - bei der Aufklärung der Tat und der Überführung und Verurteilung des Täters.
Ich will darauf verzichten, die lange Reihe der Strafprozesse aufzuzählen, mit denen Gerhard Strate als Verteidiger oder auch als Vertreter der Nebenkläger in die Schlagzeilen gekommen ist. Nur dies: Die für den Verurteilten erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahren, bei denen ein rechtskräftig abgeschlossener Fall neu aufgerollt wird, lassen sich in der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte an den Fingern einer Hand abzählen. Drei Mal hieß der Anwalt Strate. Seine Erfolge hatten aber, wie er mir mit der für ihn typischen Mischung aus Distanz zum Sachverhalt, Professionalität und sehr persönlichem Engagement versichert, stets eines zur Voraussetzung: „Ich muss von der Unschuld meines Mandanten überzeugt sein, jedenfalls in Wiederaufnahmeverfahren.“ Das schließt indessen menschliche und berufliche Enttäuschungen nicht aus, und auch darüber spricht er freimütig. Bundesweite Aufmerksamkeit erregte der drahtige Anwalt mit der Kanzlei im Brammer-Haus am Holstenwall, einem ehemaligen Gebäude der Staatsanwaltschaft, als er 1987 den Freispruch des wegen Sexualmordes zu lebenslanger Haft verurteilten Strafgefangenen Holger Gensmer „wegen erwiesener Unschuld“ erreichte. Er hatte im Wiederaufnahmeverfahren schlüssig nachgewiesen, dass Gensmer nicht der Täter gewesen sein konnte. Die Enttäuschung: Drei Jahre nach seiner Entlassung beging Gensmer erneut eine Sexualstraftat und wurde nun zu Recht verurteilt. Das bringt mich zu der Frage:
„Belastet Sie eine solche Erfahrung?“
„Natürlich ist das bedrückend. Nur hatten beide Fälle nichts miteinander zu tun. Ich bin unverändert der Überzeugung, dass Holger Gensmer die sechsjährige Birgit König aus Rahlstedt 1971 nicht umgebracht hat und deshalb zu Unrecht wegen dieses Falles verurteilt und in Strafhaft genommen wurde.“ Und dann die Sache Monika Böttcher, geschiedene Weimar - der Fall, in dem er 1997 eine sensationelle Wende erreichte: Die wegen Mordes an ihren beiden Kindern zu lebenslanger Haft Verurteilte wurde in einem Wiederaufnahmeverfahren wegen Mangels an Beweisen freigesprochen. Die Enttäuschung, diesmal beruflich: In einem erneuten Prozess wurde sie abermals wegen Doppelmordes verurteilt.
Gerhard Strate war schon mehrfach als hamburgischer Justizsenator im Gespräch, und er wäre zeitweise auch bereit gewesen. Meine Frage, ob er auch in der jetzigen Situation auf eine solche Anfrage positiv reagieren würde, vielleicht in einer rot-grünen Koalition, bringt ihn zu einer kleinen, nachdenklichen Pause:
„Ein schwieriges Amt mit vergleichsweise hohem Risiko, was die politischen Überlebenschancen angeht. Es käme wirklich sehr auf die Umstände und den ganzen Kontext an. Ich liebe meinen Beruf.“ Wer diesen Anwalt im Gerichtssaal erlebt, glaubt ihm das unbesehen.
Ich kenne Anwälte, die ob ihrer Erfolge ein gespreiztes Selbstbewusstsein entwickeln, mit dem sie kaum in einen normalen Türrahmen passen. Gerhard Strate gehört nicht zu dieser Spezies. Ein Reporter, der von ihm wissen wollte, wie man ihn am besten als Person beschreiben könnte, bekam zur Antwort: „Am besten gar nicht.“
Jedoch will ich hier einem Missverständnis vorbeugen: Diese Zurückhaltung hindert ihn nicht daran, virtuos auf dem Klavier der öffentlichen Meinung zu spielen, wenn er es für angezeigt hält. Nur extrovertiert ist er ganz und gar nicht.
Beim Abschied, vor der Tür des Lokals, kommt mir noch eine Frage in den Sinn:
„Sie haben vorhin gesagt, über die Rolle des Strafverteidigers gebe es ein häufig anzutreffendes Missverständnis. Seine Aufgabe sei es nicht, die Tat zu verteidigen, die dem Mandanten vorgeworfen werde, sondern dessen Rechte im Verfahren. Schön und gut. Aber weshalb konzentrieren Sie sich so häufig auf so schwierige, aussichtslos erscheinende Fälle?“
Er blickt mich nachdenklich an: „Darf ich Ihnen meine Antwort per E-Mail geben?“
Am Tag darauf finde ich in meiner Mailbox diese Nachricht vor:
„Die Aufgabe des Strafverteidigers ist es, Vertrauen zu schenken, wo es jeder verweigert, Mitgefühl zu entfalten, wo die Gefühle erstorben sind, Zweifel zu säen, wo sie keiner mehr hat, und Hoffnung zu pflanzen, wo sie längst verflogen war. Herzliche Grüße, Ihr Strate.“
Es war der Schlusssatz, mit dem er sich kürzlich in der Universität Rostock für die Verleihung der Ehrendoktorwürde durch die Juristische Fakultät bedankt hat.