Recht behalten aus Berufung
Der Hamburger Strafverteidiger Gerhard Strate hat den Ehrgeiz, den New-Economy-Sturzflügler Alexander Falk herauszupauken
        von Anna v. Münchhausen
        Frankfurter Allgemeine  Sonntagszeitung, 05.12.2004, Nr. 49, S. 61
 Auch er, der Erfolgsverwöhnte, kennt Niederlagen. Gerhard  Strate weiß noch genau, wo ihn seine größte Enttäuschung traf. Ein  sonniger Morgen in Kapstadt, der Hamburger Rechtsanwalt joggt den Strand  entlang - großartige Landschaft, blitzblauer Himmel. Das Mobiltelefon klingelt.  Sein Büro in Hamburg mit der Nachricht, daß der Bundesgerichtshof die Revision  gegen die Verurteilung von Monika Weimar verworfen hat. Finito, Ende, Vorhang.  Das Schlußwort nach einem Prozeßverlauf, der sich über mehrere Instanzen hinzog  und Strates Ruf als Mann für aussichtslose Fälle festigte. Er hat sich eine  Zigarette angezündet, ein paar Minuten das hypnotisierende Heranbranden der  Wellen auf sich wirken lassen - und ist dann weitergelaufen. „Man darf  Enttäuschungen nicht so nah an sich herankommen lassen.“ Sagt er, fingert  wieder eine Camel aus der Packung und fügt seinem sonoren Tonfall eine Nuance  hinzu, in der die damalige Fassungslosigkeit nachklingt.
      
 Regale voller Fachliteratur, davor letzte Freilandrosen in dunklem Purpur, an  den Wänden großformatige Arbeiten eines amerikanischen Foto-Realisten: Strates  Kanzlei vermittelt den Eindruck, als habe hier einer seine Rolle endgültig  gefunden. Das Bild des glatten, mit allen Wassern der Selbstdarstellung  gewaschenen Advokaten weiß er hingegen zu widerlegen. Zwar formuliert er  druckreif nach Juristenart, spricht aber auffallend leise dabei und erlaubt  sich, mit der Antwort hier und da zu zögern. „Solche Fälle wie Weimar  stärken das Profil, weil man bereit ist, auch mal einen langen Atem zu haben.  Zeitweise hat mich diese Sache allerdings an den Rand des Ruins getrieben:  zahllose Reisen, Vorbereitungen - für ein Honorar von damals 500 Mark am  Tag.“
      
 Das war Strates bislang prominentester Prozeß. Der Fall, der den 54 Jahre alten  Strafverteidiger jetzt in die Schlagzeilen bringt, ist das Gegenteil davon.  Diesmal ist der Mandant keine Mutter aus kleinbürgerlichen Verhältnissen,  sondern Alexander Falk, ein 35 Jahre alter Verlagserbe und Dotcom-Unternehmer.  Diesmal dreht sich die Anklage nicht um ein Familiendrama, sondern lautet auf  Kursmanipulation, schweren Betrug sowie Steuerhinterziehung. Und diesmal ist es  so, daß sich Falk, der „König von Pöseldorf“, den sie Sascha nannten  und der sich gern auf seiner Yacht zeigte, nicht unbedingt der Sympathien des  Publikums erfreut. Damals äußerten die meisten Medien starke Zweifel an der  Schuld der Angeklagten Weimar, was einem Verteidiger zweifellos Rückenwind  gibt.
      
 Der amerikanische Staranwalt Alan Dershowitz hat einmal behauptet: „Je  schlimmer das Image eines Angeklagten, desto interessanter der Fall.“  Stimmt Strate zu? „Ein Thrill ist das negative Image allemal. Nur kann ich  bei Alexander Falk kein negatives Image erkennen. Eine der intelligentesten  Personen, die ich jemals getroffen habe. Er ist hoch motiviert und sehr gut  vorbereitet.“ Das überrascht kaum, sitzt der Angeklagte doch seit 18  Monaten in Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft sieht es so: Nachdem  Alexander Falk den väterlichen Stadtplan-Verlag an Bertelsmann verkauft hatte,  übernahm er eine unspektakuläre Internet-Bude namens Ision; sie sollte Portale  für Fremdkunden einrichten. Keine schlechte Idee - aber Falk hatte Größeres  vor. Zusammen mit fünf jetzt mitangeklagten Partnern frisierte er die  Umsatzzahlen, behaupten die Ermittler, trieb so den Aktienkurs in die Höhe und  veräußerte die Firma schließlich für 762 Millionen Euro an die britische  Energis plc., die sich an dem Deal nachhaltig verhob und von Falk inzwischen  auf zivilrechtlichem Weg Schadensersatz verlangt.
      
 Die Ermittlungsunterlagen füllen mittlerweile etwa 700 Aktenordner, die  Anklageschrift umfaßt 288 Seiten, Falk beschäftigte den ehemaligen  „Bild“-Chefredakteur Hans-Hermann Tiedje als PR-Berater, es wurden  reichlich Briefe gewechselt, Drohbriefe sogar, und die Mitangeklagten gehen  auch nicht eben zimperlich miteinander um. Wenn man aus Strates Büro am  Holstenwall blickt, kann man im Nebel den Klinkerbau des  Untersuchungsgefängnisses drüben am Holstenglacis erahnen. Alle Versuche der  Verteidigung, den Haftbefehl gegen den Mandanten aufheben zu lassen, sind  bislang fehlgeschlagen. Das Argument: Fluchtgefahr. „Aus meiner Sicht hat  sich die Hamburger Justiz in diesem Fall verrannt“, urteilt der Anwalt.  Ein New Economy-Sturzflügler soll büßen. Möglicherweise gar wegen jener  Verluste, die Richter und Staatsanwälte als private Kleinanleger erlitten . . .
      
 Kollegen nennen Strate „einen hartnäckigen Wühler“ - geduldig,  fleißig und offensichtlich begnadet, wenn es darum geht, abgelegene Details  juristisch zu sezieren und zu wundersamer Bedeutung reifen zu lassen.  „Beweiserhebliches“ Material nämlich ist im Fall Falk hauptsächlich  in elektronischen Medien abgespeichert - ausgedruckt könnte man mit diesen 18  Millionen Blatt mühelos jeden Rechtskundler erschlagen. Interessant, vor allem  relevant sind davon allenfalls zwei bis drei Prozent. Aber wie findet man sie?  Die Staatsanwälte durchkämmten die Dateien mit naheliegenden Schlüsselbegriffen  - dabei blieben paßwortgeschützte Dokumente und Excel-Dateien unberücksichtigt.  „Hier“: ein kurzer Griff ins Regal, und Strate fischt einen Ausdruck  aus Akte Nummer xyz, einen Business-Plan „von höchster Bedeutung“,  der der Staatsanwaltschaft nur als unleserliches Fax vorlag. Nicht nur  kriminalistisches Gespür, sondern ein amerikanisches Paßwort-Rettungsprogramm  half der Verteidigung, chiffrierte Dateien zu knacken. Manchmal dauerte es drei  Stunden, bis sich ein Dokument schließlich doch öffnete. Wie sagte doch Albert  Camus? Wir haben uns Sisyphos als glücklichen Menschen vorzustellen.
      
 Und ebenfalls darf man sich auch schon jetzt vorstellen, wie Strate derlei  Funde im Gerichtssaal inszeniert. Denn zweifellos hat er die Gabe, an der  richtigen Stelle laut und emotional - manche sagen: pathetisch - zu werden.  Mitunter bittet er in solchen Momenten um eine Pause, um sich selbst wieder  herunterzudimmen. Ein hübsches Beispiel aus der anwaltlichen Trickkiste.  Erstens läßt sich auf diese Weise die eigene Argumentation noch einmal  sortieren, und zweitens vermerkt das Gericht meist positiv, daß der von seinen  Emotionen hingerissene Verteidiger sich selbst zur Ordnung ruft.
      
 Auch im Zusammenhang mit einem weiteren Mandanten Strates bedarf es  juristischer Finesse: Der Fundamentalist Mounir al Motassadeq ist vor dem  Hamburger Oberlandesgericht angeklagt wegen Beihilfe zum Mord im Zusammenhang  mit den Anschlägen vom 11. September. Auch dies ein Fall fürs Lehrbuch. Zwar  liegen entlastende Aussagen des Al-Qaida-Drahtziehers Ramzi Binalshibh vor -  aber wie kamen diese Aussagen in Amerika zustande? Dürfen sie verwertet werden?
      
 Den Ermittlern ein Schnippchen schlagen, schneller sein, undichte Stellen  entlarven - hier und da scheint doch noch etwas von dem romantischen Impuls aus  Strates Jugend auf. Obwohl sein Outfit (dunkler Business-Suit, sattrote  Krawatte) nichts mehr gemein hat mit dem des parkatragenden Jura-Studenten, der  Mitte der siebziger Jahre dem Kommunistischen Studentenbund angehörte. Bei  einer Demonstration gegen Fahrpreiserhöhungen geriet er mit der Polizei aneinander,  als er einem behinderten Kommilitonen helfen wollte. Festnahme, Prozeß wegen  Widerstands gegen die Staatsgewalt - und seine erste erfolgreiche Revision.
      
Die er natürlich niemals vergißt. Grundsätzlich aber rechnet er illusionslos. „Bei einem Strafverteidiger kommen zehn Erfolge auf neunzig Mißerfolge. Es ist nicht so, daß überall nur Unschuldige verfolgt würden.“ Inzwischen verdiene die Hamburger Justiz es allerdings, das Fürchten zu lernen, behauptet er. Aus den Anfangsjahren seiner Tätigkeit habe er noch Richterpersönlichkeiten in Erinnerung; „knorrige, eigenwillige Charaktere, die souverän waren, sich nicht beirren ließen, weder durch die Verteidigung noch durch dumme Anträge der Staatsanwaltschaft“.
Vielleicht wird ja alles besser, wenn erst die Justizreform verabschiedet ist, für die die Bundesjustizministerin sich gerade einsetzt. Geplant ist unter anderem, den Rechtsweg auf zwei Instanzen zu verkürzen. Strate, der gern alle Möglichkeiten der Berufung und Revision ausspielt, gibt sich skeptisch: „Ich meine, daß dies den Justizapparat überfordert, weil es nicht genug Richter gibt, die die Entscheidungen daraufhin überprüfen können, ob sie frei von Rechtsfehlern sind. Das Revisionsrecht ist ein Fall für Spezialisten.“
        Spezialisten wie Strate eben. Soviel steht fest: Sollte sein Mandant Falk nicht  freigesprochen werden, wird der Hamburger „Revisionsterrier“ erneut  seinen langen Atem unter Beweis stellen.
 Kastentext:
      
        „Beim Strafverteidiger kommen zehn Erfolge auf neunzig Mißerfolge“,  so Strate.
 Ein hartnäckiger Wühler
      
 Als Sohn eines Ingenieurs wurde Gerhard Strate  1950 in Thüringen geboren.  Die weitere  Biographie aber ist rein hanseatisch geprägt: aufgewachsen in Schwarzenbek bei  Hamburg, in Geesthacht zur Schule gegangen, Studium an der Universität  Hamburg.  Als KBW-Mitglied macht er, noch  als Student, erste Erfahrungen mit praktischer Rechtssprechung - in der Rolle  des Angeklagten.  Radikal sei er nie  gewesen, kommentiert der Strafverteidiger heute, „es war aber immer meine  Grundüberzeugung, daß man Bürgerrechte mit Nachdruck verteidigen  muß“.  Und daß die Justiz sich  gefallen lassen muß, ihre Entscheidungen penibel überprüfen zu lassen.  Das begründete seinen Ruf als Staranwalt.
Prominente wie Monica Seles oder Hitler-Tagebuch-Beschaffer Gert Heidemann ebenso wie das RAF-Mitglied Henning Beer gehörten zu seinen Mandanten. Dreimal erstritt er, eine Seltenheit in der Justiz, rechtskräftig verurteilten Mandanten ein Wiederaufnahmeverfahren. Im bekanntesten dieser Fälle hieß die Angeklagte Monika Weimar. Am Ende wurde sie, nach einer spektakulären Revision, doch wegen Mordes an ihren Töchtern verurteilt. Vorgestern begann die Verhandlung gegen seinen derzeitigen Top-Mandanten Alexander Falk.
