Dr. iur. h.c. Gerhard Strate

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Weg mit Schaden – zum Neubeginn des Mannesmann-Verfahrens

von Dr. iur. h.c. Gerhard Strate, Rechtsanwalt in Hamburg

Die Angeklagten des Mannesmann-Verfahrens haben es schmerzlich erfahren müssen: Die Strafjustiz ist häufig unberechenbar. Am 22.7.2004 ein Freispruch vom Vorwurf der Untreue. Am 21.12.2006 Aufhebung des Freispruchs und Anordnung einer neuen Verhandlung durch den Bundesgerichtshof. Mal sind es die Staatsanwälte, mal sind es die Angeklagten und ihre Verteidiger, die den Gerichtssaal mit betretener Miene verlassen.

Die Unvorhersehbarkeit des Ergebnisses müsste eigentlich nicht sein. Das Grundgesetz garantiert jedem Bürger, dass eine Tat nur bestraft werden kann, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. Gerät der Bürger aber durch eine Unbill des Schicksals in den Status des Beschuldigten, muß er sehr schnell erkennen, dass die hehren Prinzipien, die unseren Strafprozeß strukturieren und prägen sollen, in der Praxis des Tages eine erstaunliche Banalisierung erfahren. Das Gesetz, welches die Strafbarkeit bestimmen soll, verflüchtigt sich zu einer Schimäre. An seine Stelle treten Richter, die nicht immer Diener, sondern Herren des Gesetzes sind.

Das Mannesmann-Verfahren macht dies exemplarisch. Im Zentrum steht der Vorwurf einer Untreue. Anlaß waren die enormen Sonderzahlungen, die der Aufsichtsrat der Mannesmann AG kurz vor der vollständigen Übernahme durch Vodafone ausscheidenden Vorstandsmitgliedern bewilligt hatte. Sie hatten in der Öffentlichkeit Anstoß erregt. Aber passte der Untreuevorwurf? Die Staatsanwaltschaft wollte die Ermittlungen zunächst nicht aufnehmen, tat es dann erst auf Geheiß des Generalstaatsanwalts, nun aber mit Nachdruck. Das Landgericht Düsseldorf ließ die Anklage zwar zu, verkündete dann aber einen fulminanten Freispruch.

Lagen die Richter des Landgerichts völlig falsch, wie die mit harschen Tönen erfüllte Aufhebung ihres Urteils durch den Bundesgerichtshof glauben macht? Mitnichten. Sie hatten getan, was ihnen der Bundesgerichtshof schwerlich vorwerfen kann. Sie hatten sich an die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gehalten.

Und hier beginnt das Ärgerliche des Falles: Der Bundesgerichtshof besteht aus fünf Strafsenaten mit jeweils unterschiedlicher sachlicher und regionaler Zuständigkeit. Jeder dieser Strafsenate ist der Bundesgerichtshof. Um die Einheitlichkeit der Rechtsprechung zu gewährleisten, muß ein Strafsenat, der von der Rechtsprechung eines anderen Strafsenates abweichen will, ein geregeltes Verfahren einhalten. Er muß entweder bei den anderen Strafsenaten anfragen, ob sie die Abweichung billigen, oder aber – im Falle des Streits zwischen den Senaten – den (nur selten zusammentretenden) Großen Senat des Bundesgerichtshof anrufen.

Das Landgericht Düsseldorf hatte sich konsequent an der Rechtsprechung des BGH – seines 1. Strafsenates – orientiert, als es den Freispruch damit begründete, bei risikoreichen unternehmerischen Entscheidungen setze die Annahme einer Untreue zusätzlich eine „gravierende“ Pflichtverletzung voraus. In der Gesamtschau sei eine solche gravierende Pflichtverletzung zu verneinen. Die Ertrags- und Vermögenslage der Mannesmann sei zum Zeitpunkt der Bewilligung gut gewesen, die innerbetriebliche Transparenz sei gewahrt worden, sachwidrige Motive seien nicht zu erkennen. Daß nicht jede Verletzung gesellschaftsrechtlicher Verpflichtungen bereits den Untreuevorwurf begründe, sondern nur solche, die gravierend sind, hatte der 1. Strafsenat des BGH in einem Urteil vom 22.11.2005 – Geldtransfers innerhalb der Kinowelt-Gruppe betreffend– als allgemeinen Rechtssatz noch einmal bekräftigt.

Für das Urteil der Düsseldorfer Richter war nun nicht der 1. Strafsenat, sondern der 3. Strafsenat zuständig. Für seine Aufhebung des Freispruchs interpretierte er den Untreuevorwurf gegenüber Organen einer Kapitalgesellschaft neu. Das zusätzliche Erfordernis, die gesellschaftsrechtliche Pflichtverletzung müsse „gravierend“ sein, ließ er schlank fallen, womit die strafrechtliche Haftung von Organmitgliedern enorm erweitert wurde. Die (einen Monat zuvor noch einmal wiederholte) Rechtsprechung des Nachbarsenates wurde abgetan mit der Erläuterung, dessen Erwägungen beträfen andere Sachverhalte, behandele außerdem nur „risikobehaftete Unternehmensentscheidungen“. Um eine solche sei es bei den Sonderzahlungen nicht gegangen.

Eigentlich hätte der 3. Strafsenat so nicht entscheiden dürfen, stattdessen seine Rechtsprechungsänderung mit den anderen Senaten des BGH abstimmen, möglicherweise sogar den Großen Senat des BGH anrufen müssen. Das Grundrecht eines jeden Beschuldigten – hier der Angeklagten im Mannesmann-Verfahren – auf den gesetzlichen Richter scheint verletzt.

Ob die Angeklagten allerdings gut daran tun, sich auf solche Grundprinzipien zu berufen, müssen allein sie und ihre Verteidiger entscheiden. Für den Umgang mit der Strafjustiz ist angesichts ihrer Unwägbarkeit die alte Kaufmannsweisheit „Weg mit Schaden“ häufig die bessere Devise.

 

 
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